Für die RAF war er das System, für mich der Vater by Anne Ameri-Siemens

Autor:Anne Ameri-Siemens [Ameri-Siemens, Anne]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: RAF, Terrorismus & Extremismus
ISBN: 9783492252638
Google: 91qQNwAACAAJ
Amazon: 349225263X
Herausgeber: Piper
veröffentlicht: 2008-11-14T23:00:00+00:00

Entführung der Landshut

»Man will nie mehr Opfer sein«

Gabriele von Lutzau und Jürgen Vietor über die Geiselnahme in der »Landshut«

m Am 13. Oktober 1977 startet in Palma de Mallorca gegen 13 Uhr die Lufthansa-Maschine »Landshut«, Flugnummer LH 181. Die Besatzung: Pilot Jürgen Schumann, Copilot Jürgen Vietor, Purserette Hannelore Piegler und die Stewardessen Anna-Maria Staringer und Gabriele Dillmann, heute heißt sie Gabriele von Lutzau. An Bord befinden sich 86 Passagiere, im hinteren Frachtraum der Boeing 737 werden zwei Leichen in Zinksärgen überführt, und im vorderen sind lebendige Ziervögel in Käfigen. Zielflughafen ist Frankfurt am Main. Gegen 14.30 Uhr meldet die Flugsicherung im südfranzösischen Aix-en-Provence eine Routenabweichung des Flugzeugs. ■

Jürgen Vietor (64)

Alles begann mit einem furchtbar lauten Schlag, und dann hörte ich aufgeregtes Stimmengewirr aus der Kabine. Die Stewardessen hatten gerade damit begonnen, Essen und Getränke zu servieren. Wir flogen über Toulon. Später erfuhr ich, daß der Schlag die Folge eines Fausthiebs des Anführers Martyr Mahmud gewesen war: Im Vorbeirennen hatte er

Hannelore Piegler gegen die Kabinentür geschleudert. Die Tür hinter Jürgen Schumann und mir wurde aufgerissen. Ich begriff im ersten Moment gar nicht, was sich hier abspielte. Ein dunkelhaariger Mann stand im Durchgang und setzte blitzschnell eine Pistole an die Schläfe von Jürgen Schumann. Schumann und ich sahen uns an. Nun verstehend, fassungslos. Bevor wir irgendwie reagieren, gar etwas sagen konnten, schrie der Mann: »Out! Out! Get out!« Ich bekam einen Tritt in die Rippen. Meine Seite brannte vor Schmerz, der Mann riß mich aus dem Sitz, brüllte, ich solle nach hinten ins Flugzeug. »Go!« rief er ungeduldig. »Go! Go! Go!« Dann schrie er auf englisch über Bordlautsprecher: »Hände über den Kopf! Sie sind in unserer Gewalt! Keine Bewegung! Kein Laut! Wer gegen unsere Anweisungen verstößt, wird sofort exekutiert!«

Ich stolperte raus aus dem Cockpit, sah die anderen Crew-Mitglieder und die Passagiere der ersten Klasse mit erhobenen Händen nach hinten in die Economyclass laufen. Im Gang standen zwei dunkelhaarige Frauen mit Handgranaten und herrschten die Passagiere an, sie sollten sich beeilen. Damals gab es zwischen der ersten Klasse und der Economyclass noch eine feste Trennwand. Um den Rücken freizuhaben, trieben die beiden Frauen und ein zweiter dunkelhaariger Mann mit Pistole uns alle ins Heck des Flugzeugs. Sie leerten die First Class komplett, so hatten sie alle Geiseln im Blick.

Ich ging wie die anderen mit erhobenen Händen nach hinten. Dann wurden uns, den Crew-Mitgliedern, Sitze neben den Passagieren zugewiesen. Junge Männer mußten sich einzeln auf die Fensterplätze setzen. Wir alle taten wortlos, wie uns geheißen wurde. Natürlich, man ertappte sich dabei, wie man kalkulierte: Könnte ich eingreifen? Etwas gegen die drei Bewaffneten tun? Wie viele Männer stehen noch in Gang Nähe? Man denkt, als lasse sich die Geschichte noch zurückdrehen. Doch wir waren schon mittendrin. Man hat im Flugzeug letztlich keine Chance, wirklich zu agieren. Bei einem Entführer vielleicht, aber nicht bei vieren.

Kurz darauf kam der Anführer aus dem Cockpit, er gab den beiden Frauen, die immer noch die Handgranaten in erhobenen Händen hielten, knappe Anweisungen. Es war rasch klar, daß er allein das Sagen hatte und die übrigen drei seine Handlanger waren.

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